Moira wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, aber ihr fehlten dennoch die Worte. Wieso war jetzt plötzlich doch alles so kompliziert zwischen ihnen? Es lag gar nicht mal so sehr an der Nacht, sondern nur an dieser bescheuerten Lindsay, fand Moira und betrachtete wieder nachdenklich ihr Bild. //Aber er hat mich gemalt und nicht sie...wieso?//
Da fiel Melvyn plötzlich vom Stuhl und zog sie somit mit einem Schrecken aus ihren Gedanken. "Alles in Ordnung?" Sein Lob ging gerade irgendwie an ihr vorbei. //Wieso ist er denn jetzt umgefallen? War er einfach unachtsam oder ist das Bild doch so hässlich? Oder hat er sich doch erkannt?// Nachdenklich besah sie sich wieder ihr Bild. //Ich will doch nur wieder vernünftig mit ihm reden...//
Leise seufzte sie und war bald mit ihrem Bild fertig. Den Rahmen bildeten nun in das Bild züngelnde Flammen und den Drachen umgab viel Macht, so kam es ihr zumindest vor.
Sie fuhr sich mit ihrer Hand durch ihre Haare und beobachtete dann Melvyn unauffällig. Wieder hatten sie die ganze Zeit über nicht miteinander geredet.

Moira beobachtete, wie er das Bild ansah und darüber strich. Es zerriss ihr fast das Herz, ihn so zu sehen. //Wer das wohl auf dem Bild ist? Sie bedeutet ihm viel...// Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie eigentlich kaum etwas über Melvyn wusste und das fand sie eigentlich schade.
Der Gong riss sie dann aus ihren Gedanken und sie packte ebenfalls ihre Sachen. Dann fragte Melvyn sie, ob sie los wollten, weil er Kashima nur ungerne warten lassen wollte, doch diese Frage ging irgendwie an ihr vorbei. "Wer ist das auf deinem Bild?", fragte sie zaghaft nach und sah ihn an. Diese Frau bedeutete ihm so viel und warum auch immer er so sehnsüchtig geschaut hatte, sie wollte ihm etwas von dieser Sehnsucht nehmen.
Dann erst fiel ihr auf, dass er sie etwas gefragt hatte und sie stand auf. "Äh...ja, natürlich..." Irgendwie bereute sie ihre Frage auch schon wieder. Es ging sie doch eigentlich nichts an. Sie war viel zu neugierig. Aber wenigstens schien er wieder etwas normaler mit ihr zu reden. Diese Kälte zwischen ihnen gefiel ihr trotzdem überhaupt nicht. Musste sie ihm wirklich alles erzählen, wenn sie wieder diese Nähe haben wollte?

Moira hörte ihm gebannt zu und empfand all seine Gefühle mit. Ihre Gabe war manchmal wirklich eine Last, aber nun war sie froh, dass sie sie hatte. Es war grausam, was er ihr erzählte, aber sie merkte auch, dass das nicht alles war, obwohl er ihr gerne alles erzählen wollte.
Als sie gerade in die Bücherei kamen, sah auch sie Kashima, aber bevor sie zu ihm gehen konnte, musste sie Melvyn einfach festhalten. "Warte kurz...", sagte sie, als er seinen Schritt beschleunigen wollte und umarmte ihn. "Ich glaube, sie wäre stolz auf dich und fände das Bild wunderschön...du bist so begabt, Melvyn...und es tut mir so Leid, dass du sie verloren hast...", flüsterte sie leise und löste sich dann etwas verlegen von ihm. Dann ging sie rüber zu Kashima, der dort wie ein Häufchen Elend saß.
"Hey, alles in Ordnung?" //Hat mein Glücksbringer doch nichts gebracht? Aber...ich war mir doch so sicher...//
Sie ließ sich neben ihm nieder und sah ihn an. Moira spürte, dass er aufgewühlt war und legte sanft ihre Hand an seine Schläfe, um ihm etwas Ruhe einzuflößen.

Moira merkte nichts von Melvyns Gefühlen, als er sah, dass sie Kashimas Schläfen massierte. In dem Punkt hatte Moira wohl eine Art Schutzbarriere aufgebaut, sonst würde sie wahrscheinlich längst wissen, dass er nichts von Lindsay wollte, sondern von ihr.
Dann hörte sie Kashima zu. "Ganz ruhig, okay? Es war bestimmt die richtige Entscheidung, auch wenn du vielleicht noch etwas Zeit brauchst..." Sie spürte mit wie viel Herzblut er eigentlich bei der Sache war, aber diese vielen Menschen schienen ihn so fertig zu machen. //Wenigstens hat er sich nicht geprügelt. Wenn mein Glücksbringer nicht mehr gebracht hat, dann zumindest, dass er sich nicht geprügelt hat und das ist wenigstens etwas...//, dachte sie, auch wenn sie ihm gerne mehr geholfen hätte.
Dann stand er auf und meinte, dass sie fahren sollten, damit die beiden noch viel arbeiten konnten. Moira warf Melvyn einen Blick zu. Ob es heute so gut war, dass sie arbeiteten? Sie schwiegen sich die meiste Zeit an - abgesehen vom Morgen und der Sache nach dem Unterricht auf dem Weg zu Kashima. //Wenn doch alles etwas leichter wär...// Auch sie stand auf.

Moira beobachtete die beiden. Sie waren so gute Freunde, aber momentan stand etwas zwischen ihnen. Dass sie das war, konnte sie nicht wissen, auch wenn sie vielleicht nur ein Teil der Gründe war. Lindsay bildete mit Sicherheit einen anderen großen Teil und dazu kam noch Kashimas Gereiztheit, die das Studium bei ihm verursachte.
Moira verstand die beiden einfach nicht und als sie dann am Auto schon wieder anfingen zu streiten, beschloss sie, erst einmal nichts dazu zu sagen und stieg sofort ein, weshalb sie die andere Sprache gar nicht richtig registrierte. Ihr fehlte heute die Kraft dafür, noch mal wen zu beruhigen. Zumal sie auch etwas gereizt war, wenn sie nur an Lindsay und das Bild, was sie mit Melvyn zusammen abgegeben hatte, dachte.
Als die beiden dann einstiegen, sah sie erst Kashima und dann Melvyn durch den Rückspiegel ins Gesicht. "Jungs, hört auf, euch zu streiten, ja? Wenn es eure Gemüter beruhigt, dann faucht mich an, aber macht euch doch nicht gegenseitig fertig..."
Nachdem sie das gesagt hatte, sah sie aus dem Fenster. War es wirklich gut, jetzt mit Melvyn noch den gesamten Nachmittag zu verbringen?

Moira sah die Beiden noch einmal an und musste lächeln, als sie einstimmig sagten, dass sie sich eher prügeln würden. Dann sah sie wieder nach draußen bis Kashima sie plötzlich ansprach. Ihr Blick ging zu ihm und sie hörte ihm zu.
Plötzlich fühlte sie sich schlecht. "Tut mir Leid, dass du wegen mir nicht offen mit ihm reden kannst..." Sie senkte geknickt den Blick. //Ich beeinträchtige ihre Freundschaft. Heute morgen war es schon etwas so, als Melvyn nicht verstanden hat, was ich von Kashima wollte...//
Dann versuchte Kashima ihr zu erklären, weshalb sie so leicht reizbar waren und dass es Probleme in der Familie gab. "Soll ich vielleicht lieber nicht mit zu euch kommen, wenn ihr Probleme habt?", fragte sie dann nach. Sie war die Letzte, die die Familie stören wollte, zumal sie nicht wusste, wie das Malen mit Melvyn heute ausgehen würde.
Dann flüsterte Kashima wieder etwas von Lindsay und Moira seufzte. "Sie scheinen sich gut zu verstehen...", sagte sie dazu und wieder war das Bild von ihr und Melvyn vor ihrem inneren Auge, welches ihr immer wieder einen Stich versetzte.
Dann meinte er, dass Melvyn beim Malen wieder der Alte sein würde. Moira sah kurz nach vorne zu Melvyn. "Ich weiß nicht, ob du Recht hast...wir haben seit der Sache mit Lindsay kaum ein Wort gewechselt..." In ihrem Gesicht sah man die Traurigkeit, auch wenn sie sonst darauf bedacht war, ihre Gefühle nicht so offen nach außen zu zeigen.

Plötzlich knuffte Kashima sie und meinte, dass er sie auskitzeln würde, wenn sie weiterhin so ein Gesicht zöge. Dann lächelte er sie auch noch verlegen an und sie musste ebenfalls lächeln. "Ist ja schon gut..." Dann musste sie schmunzeln. "Versuch mich zu kitzeln und du bist tot!" Moira war extrem kitzelig und das war manchmal nicht gerade förderlich, wenn sie eigentlich schmollte.
Anschließend meinte Kashima, dass Lindsay nicht sein Typ und viel zu aufdringlich wäre. In Moira keimte etwas Hoffnung auf, doch konnte sie das trotzdem noch nicht so ganz glauben. Kashima hasste Lindsay geradezu, ähnlich wie Moira. "Ich hoffe, er merkt bald, wer sie wirklich ist..." //Hätte Melvyn auch mitbekommen, wie Lindsay mir das Bein gestellt hat, würde er sie bestimmt nicht mögen. Was hat sie davon, sich so an Melvyn ranzuschmeißen? Die will doch eigentlich gar nichts von ihm oder?//
Dann meinte er, dass sie auf Melvyn mit aufpassen müssten und er fragte sie, ob sie ihm helfen würde. "Natürlich...solange ich kann..." Sie würde alles tun, um Melvyn zu beschützen - egal was er von ihr halten würde. Sie konnte ihn nicht mehr alleine lassen und würde er sie irgendwann als Freundin doch nicht mehr haben wollen, würde sie trotzdem versteckt auf ihn Acht geben.
Was Kashima dann jedoch sagte, verwirrte sie. //Ich kann mir nicht vorstellen, dass Melvyn wieder mit mir so viel reden wird, wie gestern oder heute Nacht...// Aber sie ließ Kashimas Kommentar einfach mal so stehen, da sie eh gerade ankamen und Moira sich abschnallte...

Moira sah Kashima tadelnd an, als dieser ihre Tasche bis in die Eingangshalle trug. //Männer...// Beim Reingehen ging sie dann an Melvyn vorbei, der meinte, dass sie schon mal vorgehen könnte, er würde nur was zum Knabbern holen. Sie nickte ihm zu und sah wieder zu Kashima. Sie bekam Melvyn gegenüber irgendwie kaum ein Wort heraus. //Und wenn er sie doch mag?//, fragte sie sich.
Aber Kashima hatte wohl wirklich Recht, Melvyn war anscheinend wieder der Alte. Auch seine Aura schien wieder ausgeglichener zu sein.
"Warte Kashima, ich gehe mit dir hoch, wir müssen ja in die gleiche Richtung...", sagte sie und ging neben ihm her die Treppen hoch. Sie schwieg fast die gesamte Zeit über, doch als sie an seinem Zimmer angekommen waren, blieb sie kurz stehen. "Soll ich es ihm sagen?", fragte sie dann. Sie hoffte, dass Kashima ihr diese Entscheidung abnehmen konnte, aber konnte er das wirklich? Es war eigentlich ihre eigene Entscheidung, die sie fällen musste oder nicht?

Amelie saß mit Dylan am Tisch. "Ich verstehe ja, dass das wichtig ist, aber ich und das Kind sind auch wichtig, Dylan!", sagte sie aufgebracht. Seitdem Amelie schwanger war, war sie unausgeglichener und schneller reizbar. "Du weißt genau, was für eine Untersuchung ich morgen habe und ich wollte mich gleich ausruhen. Aber das kann ich nicht, wenn du nicht da bist, das weißt du genauso gut, wie ich!" Das Baby in ihrem Bauch hielt sie immer auf Trap, wenn Dylan nicht da war, zumal sie sich dann auch sehr viel wohler fühlte.
Dann seufzte sie leise. "Tut mir Leid, für meinen Gefühlsausbruch..." Sie war mal wieder den Tränen nah. Das Alles zerrte an ihren Nerven und sie wollte nicht so grantig zu Dylan sein. Sie hatte einfach nur Angst...
Dass Melvyn rein kam, bemerkte sie gar nicht.

Lindsay hielt sich am Rand des Waldes versteckt und beobachtete das Haus. Sie würde nur rein kommen, wenn man sie herein bittete. Nun müsste sie sich noch etwas verdeckt halten, damit es erstens nicht komisch rüber kam, weil sie Melvyn quasi abgefangen hätte, obwohl es ihr so schlecht ging, und um den Stich für Moira noch sehr viel schlimmer zu machen. Moira war ein kleines Spielzeug, dass sie sich nebenbei für Spaß zu eigen machte. Es hielt sie bei Laune.
Von Außen beobachtete sie die Regungen im Haus, um ihren Plan weiter auszubauen.